Wenn man durch die klassische Toskana reist – Chianti, Montalcino, Montepulciano – ist man umgeben von Geschichte, Tradition und jahrhundertealtem Weinhandwerk. Doch irgendwann kommt man an die Küste. Die Landschaft öffnet sich, die Reben weichen dem Wind, und plötzlich wirkt alles ein bisschen moderner, kantiger, freier. Willkommen in Bolgheri – der Heimat der Supertuscans.
Was ist ein Supertuscan überhaupt?
Der Begriff „Supertuscan“ entstand in den 1970er-Jahren – allerdings nicht als offizielle Bezeichnung, sondern als eine Art Spitzname unter Weinjournalisten. Gemeint waren toskanische Weine, die sich nicht an die damaligen DOC-Vorgaben hielten – und genau deshalb so besonders waren.
Damals mussten hochwertige Weine bestimmte Regeln erfüllen, z. B. bestimmte Rebsorten oder Ausbauvorgaben. Wer dagegen verstieß, musste seine Weine als schlichten „Vino da Tavola“ etikettieren – also Tischwein, der auf dem Papier nichts Besonderes war.
Doch einige Winzer – allen voran Mario Incisa della Rocchetta mit seinem Sassicaia und Piero Antinori mit dem Tignanello – hatten andere Pläne. Sie experimentierten mit internationalen Rebsorten wie Cabernet Sauvignon, Merlot und Syrah, setzten auf Barrique-Ausbau, geringere Erträge und kompromisslose Qualität. Das Ergebnis: kraftvolle, elegante, langlebige Weine, die bald Weltruhm erlangten – obwohl sie offiziell nur „Tischwein“ waren.
Warum der Hype?
Supertuscans waren von Anfang an Weine mit Haltung. Sie brachen Regeln, um neue Maßstäbe zu setzen – und wurden dafür gefeiert. Stilistisch sind sie oft dichter und internationaler als traditionelle Sangiovese-Weine. Sie verbinden Struktur mit Eleganz, mediterrane Reife mit französischer Präzision.
Heute sind viele dieser Weine längst in offiziellen Herkunftsbezeichnungen wie IGT Toscana oder DOC Bolgheriangekommen. Doch ihr rebellischer Geist lebt weiter – und ihre Preise auch: Die Top-Supertuscans sind nicht selten dreistellig, einige Jahrgänge von Sassicaia oder Masseto sogar vierstellig.
Die wichtigsten Supertuscans (und was sie ausmacht)
- Sassicaia (Tenuta San Guido): Der Ur-Supertuscan. 85–90 % Cabernet Sauvignon, dazu Cabernet Franc. Seit 1994 mit eigener DOC Bolgheri Sassicaia – das gibt’s nur für diesen Wein.
- Tignanello (Antinori): Der Klassiker aus dem Chianti Classico-Gebiet. Meist 80–85 % Sangiovese, ergänzt durch Cabernet Sauvignon und Merlot. Elegant, aber mit Tiefe.
- Ornellaia (Tenuta dell’Ornellaia): Bordeaux-Blend mit opulenter Struktur und großer Lagerfähigkeit.
- Masseto (ebenfalls Ornellaia): 100 % Merlot – fast schon Kult. In kleinen Mengen produziert, schwer zu bekommen.
- Solaia (Antinori): Cabernet-Sauvignon-dominierter Blend mit feiner Würze und Power. Eher für den Keller als fürs Jetzt.
Daneben gibt es eine Vielzahl spannender Supertuscans kleinerer Produzenten – manche mit Fokus auf Eleganz und Terroir, andere mit voller Power und internationalem Anspruch.
Weinwissen kompakt: Das macht Supertuscans aus
- Rebsorten: Cabernet Sauvignon, Merlot, Cabernet Franc und Syrah dominieren – oft auch ergänzt durch kleine Anteile von Petit Verdot oder lokalen Rebsorten wie Sangiovese. Einige moderne Supertuscans integrieren bewusst wieder mehr Sangiovese, um die toskanische Identität stärker zu betonen.
- Ausbau: Fast immer in kleinen französischen Barriques (225 Liter), davon ein hoher Anteil neuer Eiche. Der Ausbau dauert meist 12 bis 24 Monate, was den Weinen Struktur, Komplexität und internationale Stilistik verleiht.
- Stil: Kräftig, konzentriert, langlebig – aber mit Eleganz, Frische und präziser Frucht. Typische Aromen: Cassis, dunkle Kirschen, Tabak, Graphit, Vanille und mediterrane Kräuter. Die besten Supertuscans zeichnen sich durch eine balancierte Tanninstruktur und feine Mineralität aus.
- Herkunft: Vor allem Bolgheri (DOC Bolgheri, DOC Bolgheri Sassicaia), aber auch aus angrenzenden Gebieten wie Maremma, Chianti Classico und Colli della Toscana Centrale.
- Bezeichnungen: Meist IGT Toscana für mehr Freiheit beim Rebsorteneinsatz und Ausbau. Sassicaia besitzt eine eigene kontrollierte Herkunftsbezeichnung: DOC Bolgheri Sassicaia.
- Preisniveau: Einstieg für gute Qualität ab ca. 30–50 €, Premium-Supertuscans liegen zwischen 80–200 €, Kultweine wie Masseto, Ornellaia oder Sassicaia können 300–1.000 € (und mehr) erreichen, je nach Jahrgang.
Ein Besuch in Bolgheri – lohnt sich das?
Ganz klar: ja. Der kleine Ort Bolgheri selbst ist charmant und entspannt, mit einem fotogenen Stadttor, gemütlichen Cafés und einer der schönsten Zypressenalleen Italiens. Viele Weingüter bieten Führungen und exklusive Verkostungen an – am besten vorab reservieren, da die Plätze limitiert sind.
Wer mehr Zeit hat, sollte auch das nahegelegene Castagneto Carducci besuchen – ein hübsches Bergdorf mit engen Gassen, kleinen Kunstgalerien und einem traumhaften Blick auf die Küste. Perfekt für einen entspannten Nachmittag mit einem Glas Wein.
Für einen Sundowner ans Meer? Marina di Bibbona oder Donoratico sind nicht weit – hier findest du entspannte Strandbars, lange Sandstrände und oft einen Sonnenuntergang, der direkt ins Herz trifft.
Und noch ein Tipp: Ein Abstecher ins Naturreservat Oasi WWF Padule di Bolgheri lohnt sich, besonders für Naturfreunde. Zwischen Sumpfgebieten, alten Pinienwäldern und Vogelbeobachtungsstationen zeigt sich die wilde Seite der Toskana.
Fazit: Die neue Toscana im Glas
Die Supertuscans sind keine Modeerscheinung, sondern ein mutiger Schritt in der Weinweltgeschichte. Sie haben die Toskana neu definiert – ohne ihre Seele zu verlieren. Wer sie versteht, entdeckt nicht nur großartige Weine, sondern auch eine spannende Geschichte über Freiheit, Handwerk und Weltklasse.
Damit endet unsere kleine Toskana-Reihe – von den sanften Hügeln des Chianti über die Kraftorte von Montalcino und Montepulciano bis zu den modernen Ikonen an der Küste. Aber seien wir ehrlich: Eigentlich fängt die Reise gerade erst an.